by Antonio Fian
illustrator Daniel Egnéus
Issue IX
SCORN
My reading in S was well attended. I read a poem in the tradition of Günter Eich’s “Inventur” but longer, beginning with the words, this is the hand, which places the ring / this is the fist, which never hits home / this is my father / whose scorn I feel. I don’t know how it continued, but it went down well; the audience listened attentively and applauded loudly after the poem had ended—with the words, And now I wait / alone / for my father / for him to enter / to approach / and to scorn me. After the applause had died down I remained seated at the reading desk, several members of the audience came to have books signed then suddenly—throughout the reading I had failed to notice he was there—my father was standing in front of me. He gave me a nod and drew me aside. He thought the poem was good, he said, but it had not been smart of me to read it here. Of course he was well aware that a literary first person did not represent the author himself and thus that this person’s father was not the author’s father, but the average S audience didn’t have a clue about literature and would now think he hated me. Lucky, he said, that Frau Schleiß hadn’t been there—normally she went to every reading—otherwise the whole town would be talking about it by tomorrow.
VERACHTUNG
Zu meiner Lesung in S. waren viele Leute gekommen. Ich las ein Gedicht vor, das in der Tradition von Günter Eichs »Inventur« stand, allerdings länger war und mit den Worten begann: »Dies die Hand, die den Ring schiebt / Dies die Faust, die nie trifft / Dies ist mein Vater / der mich verachtet«. Wie es weiterging, weiß ich nicht, aber es gefiel, das Publikum lauschte aufmerksam und applaudierte laut, nachdem ich geendet hatte mit den Worten: »Und warte nun also, / allein, / auf den Vater, / dass er eintritt, / zu mir tritt, / um mich zu verachten.« Nach dem Ende des Applauses blieb ich noch beim Lesetisch sitzen, einige Zuhörerinnen kamen und ließen sich Bücher signieren, und plötzlich – ich hatte seine Anwesenheit während der Lesung nicht bemerkt – stand vor mir mein Vater, nickte mir zu, nahm mich zur Seite. Das Gedicht habe ihm gut gefallen, sagte er, dennoch sei nicht klug gewesen, es hier vorzulesen. Er selbst wisse natürlich, dass ein literarisches Ich nicht wirklich den Autor und dementsprechend der Vater dieses Ich nicht wirklich den Vater des Autors meine, das Publikum in S. aber verstehe nichts von Literatur und werde nun glauben, er verachte mich. Ein Glück nur, sagte mein Vater, dass die Frau Schleiß nicht da gewesen sei, die sonst immer zu den Lesungen gehe, denn dann hätte es morgen die ganze Stadt gewusst.